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Juni 1970, Hauskonzert bei Wiens Kunstmäzen Baron Meyer. Unter den Gästen Manfred Mautner-Markhof, Josef Krips, zahlreiche prominente Vertreter des Wiener Musiklebens und Helene Berg, die Witwe des Komponisten. Am Programm der 1. Satz aus Bergs "Opus 3" und Schuberts "Rosamunde".

Das Quartett spielte in der Besetzung: Günter Pichler, Klaus Mätzl, Hatto Beyerle und Valentin Erben. Liebenswürdig und sichtlich gerührt gibt uns Helene Berg die Erlaubnis, den Namen "Alban Berg Quartett" zu tragen.

Später, anlässlich ihres Geburtstages spielt das Quartett in Alban Bergs Musikzimmer für sie die Lyrische Suite. Seit dem Tode Alban Bergs hat Helene Berg nichts in der gemeinsamen Wohnung in Hietzing verändert. Wer ihre Wohnung betrat, wurde empfangen mit den Worten: "Kommen Sie nur herein, Sie müssen doch sehen, wie Alban lebt…" Man fühlte sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzt. Der beglückende, freundschaftliche Kontakt mit ihr sollte andauern bis zu ihrem Tode im Juli 1976. Kurz davor durfte ich ihr noch meinen neu geborenen Sohn, Sebastian Philipp Alban, vorstellen. Sie insistierte: Rufen Sie ihn doch "Alban"! (was wir uns dann aber doch nicht getrauten).

Ein Jahr in den USA

1970/71 Studienaufenthalt in Cincinnati/Ohio beim LaSalle Quartett. (Helle Aufregung in Wien: "…ausgerechnet nach Amerika müssen’s gehen, um Quartett zu studieren…"). Dennoch fanden sich zahlreiche Sponsoren, allen voran Philipp Schoeller, unsere Unternehmung zu finanzierten. Entscheidende Unterstützung erhielten wir – auch in späteren Jahren - von der "Alban Berg Stiftung".

Dieses in vieler Hinsicht bereichernde Jahr in den USA brachte uns vor allem den Kontakt mit Walter Levin und seinem "assistierenden" Engel Evi. Viele lieb gewonnene musikalische Traditionen sollten in Frage gestellt werden: "Warum macht Ihr da ein Crescendo? Es steht doch keines da!" Oder: "wenn ihr Euch nicht an das vorgeschriebene Tempo haltet, könnt Ihr ja gleich auch andere Noten spielen." Als sich bei uns ein innerer Widerstand regte, Weberns extreme Vortragszeichen zu befolgen: "Wollt Ihr nun Webern spielen, oder nicht…" Wir fingen an zu verstehen, was es heißt, eine Partitur wirklich zu lesen.

Das Publikum vervierfacht sich...

Dieses Jahr intensivsten Studiums begründete unsere künstlerische Basis und unser Selbstverständnis für alle folgenden Jahre. Zurück in Wien bot uns Peter Weiser, Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft, in Zusammenarbeit mit der "Ersten Österreichischen Sparkasse" einen jährlichen Konzertzyklus an. Ein einmaliger Glücksfall für uns!

In den darauf folgenden Jahren vervierfachte sich unser Publikum in Wien und eine glückliche Zusammenarbeit mit dem Wiener Konzerthaus dauerte an bis zum Ende unserer Konzerttätigkeit. Zugleich übernahm auch eine der großen deutschen Konzertagenturen, Hans Ulrich Schmid, unsere Vertretung. Später sollte uns Sonia Simmenauer weiter an die internationale Spitze führen.

Nach zwei personellen Wechseln im Quartett, zuerst Gerhard Schulz und dann im Juni 1980 Thomas Kakuska, war für mich persönlich der Kreis im Quartett geschlossen. 25 Jahre sollte es andauern.

Konzertreisen, Aufnahmen, Schallplattenpreise

Konzertreisen in alle Musikzentren der Welt, fast das gesamte Repertoire auf CD, (über dreißig renommierte Schallplattenpreise), Videoaufnahmen. Beglückende Zusammenarbeit mit Gästen, wie Alfred Brendel, Rudolf Buchbinder, Philippe Entremont, Elisabeth Leonskaja, Heinz Medjimorec, Sabine Meyer, Alfred Mitterhofer, Alois Posch, Heinrich Schiff, Hariolf Schlichtig, Wolfgang Schulz, Markus Wolf, Per Arne Glorvigen am Bandoneon. Viele zeitgenössische Komponisten widmeten uns ihre Werke und stellten uns vor bereichernde Herausforderungen: Unter ihnen Luciano Berio, Gottfried von Einem, Roman Haubenstock-Ramati, Wolfgang Rihm, Alfred Schnittke, Wimberger, Erich Urbanner, u.v.a...

Zum Ende kommen

Im Juli 2005 verstarb Thomas Kakuska. Das Gedenkkonzert für ihn im Oktober 2006 war ein bewegender Ausdruck seiner Ausstrahlung und der Bedeutung des Alban Berg Quartetts in der gesamten musikalischen Welt. Das Programm vereinigte neben dem Quartett Persönlichkeiten wie Claudio Abbado, Irvine Arditti, Helmut Deutsch, Noam Greenberg, Angelika Kirchschlager, Magdalena Kocena, Elisabeth Leonskaja, Alois Posch, Thomas Quasthoff, Simon Rattle, Heinrich Schiff, Lilia Schulz-Bayrova, Daniel Sepec, Milan Turkovic, Radovan Vladkovic, Hanna Weinmeister, von den Wiener Philharmonikern: Franz Bartolomey, Benedikt Dinkhauser, Daniel Froschauer, Rainer Honeck, Thomas Jöbstl, Hans-Peter Ochsenhofer, Alois Posch, Wolfgang Schulz und ein Orchester zusammengesetzt von Freunden aus aller Welt.

Ans Aufhören dachte in diesem Moment keiner von uns. Isabel Charisius, Thomas’ ehemalige Schülerin, war kein "Ersatz", sondern vielmehr ein Glücksfall.

Abschied auf dem Höhepunkt

Und dennoch spürte ich seit Thomas’ Tod einen Riß. Fragen über die Endlichkeit unseres Tuns stellten sich, und auch darüber, wie ein Ende des Quartetts aussehen würde, aussehen könnte oder sollte? Wie dürfte es bestimmt nicht aussehen? Wäre es denkbar, sich am Höhepunkt der Karriere von unserem treuen und begeisterten Publikum zu verabschieden? Zu sagen: es war wunderbar, es war nicht leicht, vielleicht öffnet das Leben noch ein neues Kapitel?

  • 38 Jahre Weltruhm, künstlerische Erfüllung, intensivste Beschäftigung mit Musik durch das kristallklare Medium Streichquartett;
  • 38 Jahre unablässiger Arbeit am Werk, Arbeit jedes Einzelnen an sich selbst, unaufhörliche Arbeit am künstlerischen und psychologischen Gleichgewicht der Gruppe, geben, ertragen, sich einbringen, sich zurücknehmen;
  • 38 Jahre bedingungslose Priorität des Quartetts vor allen anderen Lebensbereichen; Jahre des –im tiefsten und reichsten Sinne – „Miteinander“ mit Günter, Gerhard, Thomas und Isabel;

Dankbarer Rückblick – neugieriger Blick in die Zukunft...