Category Gedanken

Im vergangenen Sommer haben Studenten des Alban Berg Quartetts an der Musikhochschule Köln wichtige Preise gewonnen:

  • Das Amaryllis Quartett, das im Juni beim Borciani-Wettbewerb schon in vorderster Reihe stand, gewann im Juli in Melbourne den ersten Preis
  • Das Dudok – und das Luzernquartett waren soeben Sieger beim internationalen Wettbewerb in Radom (Polen). (Dudok 1. Preis, Luzern 2. Preis).
  • Im April 2011 hatte das Excelsa Quartett aus Boston den 1. Preis bei “Charles Hennen Competition” in Heeren (Niederlande) gewonnen.

Diese freudigen Ereignisse nehme ich zum Anlass, einmal über den Kammermusikunterricht zu sprechen.

Als sich das Alban Berg Quartett im Jahr 1970 gründete, war es noch nicht so leicht, einen fundierten Unterricht – speziell für Streichquartett – zu bekommen.

Unsere grosse Chance war das La Salle Quartett mit dessen Primarius, Walter Levin, der inzwischen zu einer Symbolfigur für die Kultur des Streichquartettspiels geworden ist.

Vielleicht das Wichtigste, was wir aus diesem Studienjahr in Cincinnati ziehen konnten, war das Hinterfragen musikalischer Vorgänge, die wir in unserer mitteleuropäischen Kultur – speziell in Wien vorwiegend intuitiv glaubten erfasst zu haben. “Beliebte” Fragen von Walter Levin waren:

“Warum macht Ihr hier ein crescendo, es steht doch keines vom Komponisten geschrieben, warum hier ein ritardando, wo keines steht?”

Also wir lernten, eine Partitur zu “lesen” und nicht das zu spielen, was wir entweder aus vielen Konzertbesuchen zu hören gewohnt waren, oder was uns ein unreflektiertes Gefühl vorgab. Eine sehr häufige und “gefährliche” Tendenz ist es ja, dass man den Text oberflächlich liest und vorschnell die eigenen Ideen in den Text hineininterpretiert.

Inzwischen sind alle diese Erkenntnisse Allgemeingut geworden, heute bekommen die jungen Studenten in dieser Richtung viel mehr Informationen.

Durch den “Tunnel der Erkenntnis”

Dennoch, wenn man ein ganzes Berufsleben lang damit verbracht hat, der Musik “auf den Grund zu gehen”, hat sich doch ein grosser Erfahrungsschatz angesammelt, den man nicht mit sich ins Grab nehmen sollte.
Ich bin heute viel schneller als früher in der Lage, dem Studenten zu sagen, warum beispielsweise seine Interpretation langweilig ist, weshalb der Zuhörer nicht angesprochen ist.

Wir können den Studenten konkrete, spieltechnische Mittel in die Hand geben, um den musikalischen Ausdruck zu verschärfen, zu intensivieren, oder zu verdeutlichen. Mir geht es im Besonderen auch darum, die spezifische “Sprache” des Komponisten zu entdecken, die Sprache, die ihn von anderen Komponisten unterscheidet.

Um ein einfache Beispiel zu nennen (allerdings nicht aus dem speziellen Bereich der Kammermusik, aber dennoch signifikant): Wenn “La Valse” von Maurice Ravel wie ein Wiener Walzer gespielt wird, so kann das zwar ganz lustig und unterhaltsam sein, der Komponist aber wird vergewaltigt und – wie es im deutschen Aufsatz in der Schule vorkommen konnte – das Thema ist verfehlt.

Freilich, niemand kommt dafür ins Gefängnis oder muss Strafe zahlen (die Gefängnisse wären überfüllt und Griechenland wäre finanziell gerettet!). Aber die Würde, die Identität des Komponisten wird missachtet und der Interpret stellt seine eigene “Künstlerschaft” über die des Komponisten.

Um noch einmal Walter Levin zu zitieren, der Interpret muss keine Angst um seine eigene Persönlichkeit haben: Wenn zehn verschiedene Musiker das selbe Stück spielen, bei gewissenhaftester Beobachtung des Notentextes, werden es immer zehn unterschiedliche Interpretationen sein. Das macht ja auch den Reichtum großer Musik aus.

Mir geht es beim Unterrichten noch um etwas anderes: Ich möchte dem Studenten zugleich mit diesem Arbeitsprozess versuchen, die Augen zu öffnen für das Genie des jeweiligen Komponisten, und ihm zu zeigen, welch unendlicher Reichtum an Vorstellungskraft hinter den Noten verborgen liegt. Und der eröffnet sich eben erst, wenn man durch den “Tunnel der Erkenntnis” geht.

Heute gibt es sehr viele Möglichkeiten für die Studenten, Unterricht in Kammermusik zu bekommen. Jede Musikhochschule hat ja heute dieses Fach in ihrem Katalog.
Hervorheben möchte ich da natürlich die Musikhochschule Köln, wo es seit 1993 ein eigenes Aufbaustudium “Kammermusik” gibt. Ursprünglich betreute das legendäre Amadeus Quartett dieses Fach. Das Alban Berg Quartett übernahm 1993 deren Nachfolge. Viele Quartett- und Triovereinigungen gingen dort “durch unsere Hände”: Artemis Quartett, Belcea Quartett, das Kuss-Quartett, um nur ein paar wenige zu nennen.

BQSchubertCDcoverMit dem Belcea Quartett verbindet mich jetzt eine besondere Freundschaft: Wir haben viele wunderbare Aufführungen des Streichquintetts von Schubert gemeinsam erlebt, bei EMI erschien 2009 eine CD davon.

Leider wird diese sehr erfolgreiche Einrichtung in Köln ab Herbst 2012 wegen Geldknappheit eingestellt.

Bei der Summerschool Hamburg bin ich regelmäßig eingeladen, an der Accademia Chigiana Siena unterrichtete ich vier Jahre. Ein besonders enges Verhältnis verbindet mich auch mit ProQuartet, Paris. Georges Zeisel leistet dort mit seinem Team Unschätzbares für das Quartettleben in Frankreich.

Bei unserem Festival in der französischen Champagne haben wir auch eine Masterclass für Streichquartett eingerichtet. Hier ist das Besondere, dass wir – die “alten Hasen” – nicht nur gescheite Reden führen. Wir greifen auch zum Instrument und erarbeiten gemeinsam z.B. ein Streichquintett oder auch Sextett, das dann im Konzert aufgeführt wird. Dabei entsteht ein weit engerer Kontakt zu den Studenten, der mehr bewirkt als Worte es können.

Ich möchte hier abschliessend einen Artikel aus dem Programmheft von “BOZARTMUSIC” Brüssel zitieren
Im 2. Teil eines Konzertes des Belcea Quartetts spielte ich mit ihnen das Streichquintett von Franz Schubert:

“The cellist Valentin Erben is one of those musicians whose name will forever be linked with that of his ensemble. For almost 40 years the Alban Berg Quartet, the legendary stringquartet of which he was co-founder, offered some of the finest interpretations of the genre.
Interpretations that came to be seen as authoritative and that have been highly influential too – for Erben is also an eminent educator, who devotes much of his time to teaching. When he decided to link up with the Belcea Quartet, it was because of his recognition of his partner’s musical qualities…
Over the years, Valentin Erben and the Belcea Quartet have developed a close musical bond. They even joined forces to record, for EMI, the masterpiece written by Schubert at the twilight of his life, his Quintet in C major…”

(Mit freundlicher Genehmigung von “Centre For Fine Arts, Brussels” 16. 11. 2011)

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