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Es war wohl 1987 oder 1988 als mein ehemaliger Schüler und jetziger Freund, Chang Chen-Chiéh - Dworzak fand, er müsse seine beiden Lehrer zusammenbringen. Und so kam Arto Noras zu uns nach Gaaden zu Besuch.
Es wurde über manches gesprochen, natürlich auch über Celli, er spielte auf meinem Ruggieri und erfuhr, dass es bei Vatelot in Paris ein Goffriller Cello gäbe. Es sei eines der besten Celli überhaupt. Pierre Fournier hatte es lange Zeit besessen und die meisten seiner Aufnahmen darauf gespielt.

Am Ende seiner Karriere verkaufte er es über M. Gerber in Lausanne, und Mr. Ma erwarb es für den jungen Yo-Yo. Nun aber stand es verwahrt im Atelier von Vatelot - unverkäuflich. Ohnehin war mir klar, dass ich ein Cello dieser Qualität wohl niemals selbst erwerben könnte. Trotzdem schrieb ich einen Brief an Vatelot - ohne Goffriller zu erwähnen - dass ich auf der Suche nach einem Top Cello sei. Die Antwort, es sei schwierig überhaupt, er habe zwar ein ganz wunderbares altes venezianisches Instrument, dies sei aber unverkäuflich...

Etwa ein Jahr nach meiner Begegnung mit Arto Noras erschien am Horizont ein möglicher Sponsor und ich rief Arto an um mich nach dem Goffriller zu erkundigen. Die Antwort: Valentin, das Cello ist seit zwei Wochen zum
Verkauf freigegeben. Es war jetzt Mitte Dezember 1989, ich fuhr nach Paris. Und da sass ich nun mit einem Cello von Matteo Goffriller, Venedig ca. 17720, in einwandfreiem Zustand, authentisch von Schnecke bis hinunter,
nicht zurecht geschnitten, Originallack.

Das Cello auf dem Pierre Fournier gespielt hatte und der junge Yo-Yo Ma. Kaum wagte ich es anzuspielen. Aber natürlich kein Zweifel, das muss mein Cello werden. Mit Etienne Vatelot kam ich überein, dass ich es einen Monat lang zum Ausprobieren mitnehmen kann. Von Wien aus rief ich Yo-Yo Ma an und bat ihn, bei seinem Vater ein Wort für mich einzulegen, dass er es mir verkauft. Allerdings stellte sich heraus, dass der Sponsor am Horizont offenbar eine Fata Morgana gewesen war.

Ein österreichisches Bankhaus sprang ein. Zwar war das Haus nicht bereit, das Instrument anzukaufen, ich war aber Zeuge wie der Generaldirektor solange mit seinen Subdirektoren verhandelte, bis ich mir die monatlichen
Rückzahlungen ohne zu viel Bauchweh leisten konnte - auf 25 Jahre rückzahlbar. Im Februar 1990 fuhr das ABQ auf USA Tournee. Es wurde zu einer unvergesslichen Reise: Den Kaufvertrag musste ich mit einem New Yorker
Anwaltsbüro in Vertretung der Familie Ma aushandeln. Tagsüber reisten wir, übten wir, spielten Konzert und ich telefonierte mit dem Anwalt. Mit meinem englisch mit einem amerikanischen Rechtsanwalt über Verträge sprechen war ein Albtraum schlechthin. Nachts telefonierte ich mit meinem Rechtsberater in Wien und dem Generaldirektor meiner Bank!

Kurz vor Ende der Tournee war ich nah daran aufzugeben. Die Nerven lagen blank. Immerhin handelte es sich um ein nicht so kleines Vermögen. Freilich, das Goffriller bewährte sich in jedem Konzert mehr. Das vorletzte Konzert war ein Nachmittagskonzert in Ottawa. Am Abend flogen wir nach Chikago. Im Hotelzimmer angekommen, erschöpft, entmutigt in Sachen Cellokauf, erblickte ich am Schreibtisch eine Flasche Bordeaux mit einem Grußwort von
Yo Yo Ma, der am Vortag hier gespielt hatte und schon wieder abgereist war. Mein Herz erwärmte sich, ich rief Thomas Kakuska am Zimmer an und bat ihn zu mir. Wir leerten die Flasche und ich war entschlossen das Projekt zu
Ende zu führen.

Am Morgen nach dem Konzert in Chikago, dem letzten Konzert der Reise, nahm ich den ersten Frühflug nach New York, es war der 2. März 1990. Es schneite. In New York angekommen ging ich zu unserer Agentur. Mit meinen Kollegen hatte ich abgesprochen, dass ich das gesamte Honorar der Reise übernehmen würde. Eine Westentasche meines Sakkos war nun prall gefüllt!.

Dann ging es zu Jack Françaix, dem renommierten Geigenbauer in New York. Sein Mitarbeiter, René Morel hatte Ende der 1950er Jahre, als Pierre Fournier das Cello aus einer englischen Instrumentensammlung erworben
hatte, ein Stimmfutter am Boden angebracht, um das relativ dünne Holz an dieser Stelle abzusichern. Nun - gut 30 Jahre später - wollte ich mich vergewissern über den Zustand der Reperatur. Beide Herren, Morel und Français beruhigten mich, es sei alles in perfektem Zustand und sie beglückwünschten mich zum Erwerb diesen wunderbaren Instruments.

Mein nächster Weg führte mich zur Kontaktbank einer österreichischen Bank, wo das Barguthaben meines gut gefüllten Sparbuches auf mich wartete. Nun war auch meine rechte Westentasche prall. Diesermaßen mit weiblichen Formen ausgestattet fuhr ich im Schneetreiben quer durch New York zum Anwaltbüro, wo mich ein bedrohliches Team von Rechtsanwälten und die Schwester von Yo Yo Ma erwarteten. Ich hatte viele Paragraphen zu lesen, von denen ich wenig verstand, hatte viele Formulare zu unterschreiben, von denen mir auch nicht alles klar war.

Ohne Geld, dafür mit Goffriller, Koffer, die Westentaschen nun mit Dokumenten angefüllt fuhr ich zum Flughafen. Erschöpft aber glücklich ließ ich mich in meinen Sitz im Flugzeug fallen und freute mich nach all den Wochen der Anspannung auf einen entspannten Flug. Ich ließ den Besuch beim Anwalt noch einmal Revue passieren - und plötzlich war mir klar ich hatte einen Wechsel über den Wert des Cellos unterschrieben. Nachdem ich ja bereits meiner Bank einen Schuldschein unterschrieben hatte, hätte man mich jetzt theoretisch auf den doppelten Wert klagen können. Der Flug verlief alles andere als entspannt. Vier Wochen musste ich zittern, bis meine Bank den Kaufpreis nach New York überwiesen hatte und in der Folge die unterschriebenen Dokumente - inclusive Wechsel - aus New York nach Wien überstellt waren.

Wir schreiben heute November 2017. Nach 27 Jahren ist das Cello nun in die Hände von Antoine Lederlin, dem Cellisten des Belcea Quartetts übergegangen. Vor drei Jahren hatte ich es mit Hilfe von MSIT verkauft, konnte es aber noch bis jetzt spielen. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, vor dem ich einige Zeit Angst hatte. Doch jetzt freue ich mich, dieses wunderbare Instrument in der ebenso wunderbaren Streichquartettvereinigung zu wissen. Beim ersten Konzert am 5. November konnte ich schon Zeuge sein, was für eine enorme Bereicherung das Cello für den Quartettklang bedeutet.

Zuvor - am Vormittag desselben Tages - hatte ich zusammen mit dem Quartett in einem Hauskonzert bei Wolfgang Habermayer noch ein letztes Mal auf dem Goffriller das Streichquintett von Schubert gespielt. Es war ein Tag der Emotionen.

Rückblick auf die vergangenen 27 Jahre

Ich brauchte Jahre, um auf diesem Instrument wirklich „zu Hause“ zu sein. Es war zuvor ja auch 7 Jahre nicht mehr gespielt worden. Dazu kam mein enormer Respekt vor der Tatsache, dass das Cello davor in Händen des großen Pierre Fournier gewesen war und danach, wenn auch wohl für nur kurze Zeit, vom damals jungen Yo Yo Ma gespielt worden war. Das Cello war, wie ich mir ein reinrassiges Pferd vorstelle, schwer zu bändigen, doch einmal gebändigt bereit zu allen großen Taten.

Das Instrument hat einen extremen Reichtum an Obertönen. Wenn man den Ton nicht genau in seinem Kern beherrscht, gehorcht es schlecht. Wenn es aber gelingt, bietet das Cello eine unendliche Intensität und Tiefe des
klanglichen Spektrums. Bis zu unseren letzten gemeinsamen Tagen war mir klar, dass vielleicht kein Spieler jemals die Möglichkeiten dieses Instrumentes würde voll erschöpfen können. Wie auch die großen Meisterwerke der Musik niemals voll ausgelotet sein würden. Ein Symbol für den unendlichen Reichtum der Schöpfung wie es schöner nicht sein kann.

Das Cello war immer verlässlich. Meisterhaft gebaut, war es nie wetterfühlig, oder sonst irgendwie störrisch. Sogar einen Sturz über die Stufen des Podiums der Hamburger Musikhochschule überlebte es ohne Kratzer. Den
einzigen Kratzer hatte ich auf der Stirne, da ich im Fallen meine Hände benützte um das Cello zu schützen. Das sind Reflexe, die aus dem Instinkt kommen. Etwas benommen stand ich auf, sammelte Bogen und Noten ein,
ging an meinen Platz und begann das Konzert.

Manchmal versuche ich mich, in die zeitlichen Dimensionen eines solchen Instrumentes hinein zu versetzen. Es wurde ca. 1720 gebaut, vor nunmehr fast 300 Jahren, etwa in der Zeit in der J.S. Bach die Suiten für Cello solo schrieb. Was hat es inzwischen erlebt? Was bedeutet die Zeit für diesen - ja doch lebendigen Organismus. Ein Instrument verändert sich bekanntermassen mit der Eigenart seines Spielers. Wie war es als Fournier es übernommen hatte? Fournier war ein unendlich nobler Cellist. Als Solist hatte er wohl ein starkes Selbsbewußtsein. Was fühlte das Cello als es in meine zunächst sehr ängstliche Hände kam?

Und was erlebte es in den ungezählten Quartettproben voller Spannungen, Agressionen und Konflikten. Was spürte es in den Konzerten, wenn der Quartettklang in seiner Schönheit und Homogenität erklang? Wenn sein
Spieler bei einem Solo mit seinem Innersten beteiligt war? Ich möchte hier einfach gerne manche Höhepunkte festhalten: Beethoven op. 59 Nr.1, das war zugleich einer der Höhepunkte von emotionaler Übereinstimmung mit Günter Pichler an der 1. Geige. Oder op. 74, der langsame Satz, op. 135, das Leno assai, Smetana „Aus meinem Leben“ der langsame Satz, und last but not least: Der langsame Satz von Schubert G-dur. Das sind Erinnerungen, die mir auch jetzt, 10 Jahre nach Ende des Quartetts, Tränen in die Augen treiben.

Dann kam die Zeit nach dem Quartett: Viele wunderbare Aufführungen des Streichquintetts von Schubert, jetzt am 2. Cello. Insbesondere die CD Aufnahme mit Belcea Quartett. CD Aufnahmen sämtlicher Sonaten von
Beethoven mit Shani Diluka am Klavier. Das Tripel Konzert von Beethoven in Colombo mit Shani und ihrem Mann, Gabriel LeMagadure…

Irgendwo habe ich einmal - sinngemäß - gelesen: „Nicht der Musiker besitzt das Instrument, sondern das Instrument besitzt ihn“. Das Goffriller ist jetzt in anderen Händen, es wird - so wunderbar solide es
gebaut ist - noch oft seinen Spieler wechseln. Das Cello „denkt“ in anderen zeitlichen Dimensionen. Es hat viele Spieler beglückt und wird dies auch in der Zukunft tun.